Mit David Seeberger verschlägt es einen jungen Mann aus Erlangen in die Welt der Sozialen Medien. Der stilbewusste 28-Jährige will dort nicht nur über Mode bloggen, sondern als „Social Incluencer“ auch einen Einblick in sein außergewöhnliches Leben geben. Außergewöhnlich insofern, weil es 2011 im Alter von 19 Jahren durch einen Schlaganfall gehörig durcheinandergewirbelt wurde. Eine Geschichte über einen jungen Mann, der dem Schicksal mit aller Entschlossenheit und positivem Denken gegenübertritt und mit seinem neuen Projekt nun anderen Menschen mit Handicap Mut machen und Lebensfreude vermitteln will.
Schlaganfall im Italien-Urlaub – und das im Alter von 19 Jahren
Im Jahr 2011 veränderte sich das Leben von David Seeberger von einem Tag auf den anderen drastisch: Der Teenager erlitt im Italien-Urlaub einen Schlaganfall. Die Ärzte brauchten damals mehrere Tage, um die richtige Diagnose zu stellen. „Das ist natürlich fatal“, erzählt David. „In den ersten drei bis vier Stunden kannst du etwas ausrichten und den Schlaganfall quasi rückgängig machen. Das wurde versäumt.“
Von Wehmut oder Resignation ist in seiner Stimme aber nichts zu hören – im Gegenteil: „Ich hadere nicht. Mein Vater hat mir direkt geraten, ich solle mir niemals die Frage stellen, warum ausgerechnet mir das passiert sei. Und das hat mir den Arsch gerettet“, gibt er offen zu. „Ich habe so viele Jugendliche gesehen, die an dieser Frage gescheitert und zerbrochen sind. Das kann einem nämlich kein Mensch beantworten.“
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Ich bin dadurch sehr erwachsen geworden. Musste ich ja auch. Ich war 19 Jahre alt.
David Seeberger
Von einem Moment auf den anderen aus seinem sorglosen Teenagerdasein herausgerissen, begann ein neues Leben, eine neue Herausforderung für David. „Das ist blöd, das wünscht man keinem. Ich hätte es mir auch nicht ausgesucht“, sagt er und schickt bemerkenswerte Worte hinterher: „Aber lieber nehme ich das in Kauf, komme damit irgendwie klar und habe eine starke Familie und einen guten Freundeskreis um mich herum, als jemand, der es bekommt und selbst nicht damit klarkommt. Der macht nämlich seine Familie auch noch unglücklich.“ Die Folge: „Ich bin dadurch sehr erwachsen geworden. Musste ich ja auch. Ich war 19 Jahre alt.“
In diesem Zeitraum von nunmehr neun Jahren habe er „so viele tolle Erfahrungen gemacht – auch durch den Schlaganfall -, die möchte ich niemals missen“, berichtet er. Erfahrungen in den Kliniken, die Möglichkeit, vieles ganz anders wertschätzen zu können, was vorher ganz selbstverständlich war, seien nun einige wenige Beispiele, die er anführt.
Während alle anderen vor dem TV sitzen: David schiebt Extraschichten
Dass David eine Kämpfernatur ist, bewies er bereits früh in der Reha: „Ich bin jeden Tag sieben Stunden in die Therapie gerannt, davor und danach hatte ich Schule“, so der Erlanger. Doch damit nicht genug: „Wenn dann alle anderen abends vor dem Fernseher saßen, bin ich noch zwei Stunden Treppen gelaufen. Nur, weil ich schnell wieder gesund und fit werden wollte.“ Schließlich sei es alles Einstellungssache: „Setze ich alles daran, um mein Leben so zu bestreiten, dass ich glücklich bin, oder ruhe ich mich auf dem aus, was ich habe? Dann ändert sich der Zustand nicht.“
Drei, vier Jahre danach tut sich noch richtig viel. Selbst nach acht, neun Jahren macht man noch immer Fortschritte.
David Seeberger über gesundheitliche Fortschritte nach dem Schlaganfall
Apropos Zustand: „Es wird einem von den Ärzten häufig gesagt, dass der gesundheitliche Stand, den man ein Jahr nach dem Schlaganfall hat, für immer bleibt“, erzählt David. Für ihn sei dies eine „sehr schwierige Aussage, an der viele andere zu knabbern haben. Ich finde, dass ich der beste Beweis bin, dass es nicht so ist. Drei, vier Jahre danach tut sich noch richtig viel. Selbst nach acht, neun Jahren macht man noch immer Fortschritte“, weiß er von den Erfolgen seiner eigenen Rehabilitation zu berichten. Dafür müsse man allerdings „an seine Grenzen gehen“.
An seine Grenzen ging er auch in puncto Beruf: Seine Ausbildung zum Immobilienkaufmann musste er zunächst unter-, dann abbrechen. Mit Hilfe des Berufsbildungswerkes in Potsdam holte er sie nach. „Das war die geilste Zeit überhaupt“, denkt David gerne an die dreijährige Ausbildung im Internat zurück. Zwar sei diese „brutal anstrengend“ gewesen, denn bedingt durch den Schlaganfall benötigt er in etwa dreimal so lange mit Lernen wie ein gesunder Mensch, doch „es hat sich komplett gelohnt“.
Die bleibenden Schäden sind im Kopf
Heute führt David „ein super-normales Leben. Ich gehe 20 Stunden die Woche arbeiten„, so der 28-Jährige. „Ich kann zwar meine linke Hand nicht benutzen, das ist aber kein Problem. Die wirklichen Schäden, die einen einschränken, sind im Kopf. Belastbarkeit, Konzentration, Merkfähigkeiten“, alles Themen, die man zum Arbeiten braucht. „Ich benötige viel mehr Ruhepausen, um produktiv zu sein und auch viel längere Regenerationsphasen. Das ist beim Arbeiten schwieriger, denn es fällt ja bei Fehlern alles auf dich und auf die Firma zurück.“ Aber auch hier gibt David nicht klein bei, vielmehr arrangiert er sich: „Ich mache lieber weniger, aber dafür bin ich produktiv und arbeite gut. Ich habe das Glück, einen verständnisvollen Arbeitgeber und ein gutes Team zu haben.“
Die Idee, das Projekt „Social Incluencer“ ins Leben zu rufen, kam übrigens im Rahmen einer weiteren Grenzerfahrung: Während eines Urlaubes in Ägypten wurde ihm und einem Freund eine Quad-Tour in der Wüste angeboten. Mit nur einer Hand und dadurch bedingten Gleichgewichtsproblemen hatte er zunächst Hemmungen. Als sein Freund ein kurzes Probefahren herausgehandelt hatte, stieg auch David auf – mit Erfolg. Am nächsten Tag bretterte er zwei Stunden mit 70 km/h durch die Dünen.
Eine besondere Einstellung zum Leben
„Wenn ich mich das vorher schon nicht traue, dann geht das anderen Leuten mit Handicap selbst bei kleineren Dingen noch mehr so“, hört man den Stolz und die Freude in der Stimme des Immobilienkaufmannes. „So ist dann diese Idee – eine richtige Herzensangelegenheit – entstanden. Ich kenne so viele Leute, die sind so genial mit Handicap, trauen sich aber viele Sachen nicht, obwohl sie es nie versucht haben“, so der 28-Jährige, der es beispielsweise nie verstehen konnte, dass sich andere bei Gruppenbildern in die letzte Reihe stellten, um ihre Behinderung zu verbergen. Ihn persönlich drängt es nach vorne, gar ins Unbekannte – auch mit dem Ziel, neue Erfahrungen zu machen: „Ich bin der Meinung, dass man Sachen ausprobieren soll, ehe man sagt, dass man sie kann oder nicht. Man kann nämlich super viel – ich denke da ganz anders drüber. Ich habe anscheinend eine sehr besondere Einstellung zum Leben, und, damit umzugehen.“
Was wird man alles von David Seeberger in den Sozialen Medien sehen? „Es soll ein breit gefächertes Spektrum geben: Beispielsweise habe ich schon immer ein Händchen für Mode. Ich interessiere mich dafür, habe Bock drauf“, so der kommende Influencer über seinen Privataccount „David_Lakemountain„. „Ich verstecke mein Handicap nicht, und es kommen richtig coole Bilder dabei heraus, die ich dann auch poste. Zudem bin ich viel unterwegs, reise so viel es geht, shoote unheimlich gerne“. Darüber hinaus will er die Leute in seinen Videos „im Alltag mitnehmen: Wie gehe ich einkaufen, wie fahre ich Fahrrad oder Auto, wie schaut mein Trainingsprogramm aus.“ Hierbei will er sich bei den Einheiten mit seinem Personal Trainer Gzim Ferizi filmen und somit einen Einblick in das Mischprogramm aus Fitness und Physiotherapie bieten.
Kooperation mit der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe
Darum auch der Name „Social Incluencer„. Davids Anliegen ist es, „anderen Leuten mit Handicap die Plattform zu bieten und zu zeigen: ‚Schau her, ich kann das mit Handicap, das kannst du auch!‘ Gemeinsam mit der „Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe“ will David „inspirieren und Tipps geben, was mir geholfen hat. Ich hatte auch Rückschläge, aber ich bin so ehrgeizig, dass ich immer weiter gearbeitet habe, bis ich mein Ziel erreicht habe.“
Darüber hinaus macht er sich dafür stark, dass auch Menschen mit Behinderung Teil der Gesellschaft sind – und das ohne übertriebene Einschränkungen oder gar Mitleid. „Ich bin lebensfroh, nie in Selbstmitleid versunken“, hat er das Wort auf den Index gepackt. „Mit Mitleid hätte ich am meisten Probleme. Mir geht es nämlich unheimlich gut, es gibt überhaupt keinen Grund für Mitleid.“