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StadtWir alle schaffen uns unsere persönliche Filter-Bubble!

Wollte man den Vortrag „Von Filterblasen, Feindbildern und Fake News – Rechtspopulismus im Social Web“ von Christian Buggisch in einem Satz zusammenfassen, so wäre es wohl unsere Überschrift. Vom 13. bis zum 26. März 2017 finden in Erlangen zum neunten Mal die Internationalen Wochen gegen Rassismus statt. Das UN-Projekt setzt sich gegen Ausgrenzung und Diskriminierung und für die Überwindung von Rassismus ein. Als Auftakt konnte man am 13. März in der Stadtbibliothek den Erfahrungen von Christian Buggischs Selbstexperiment lauschen, bei dem er sich eine zweite Facebook-Identität zulegte und damit in den deutschen Rechtspopulismus im Social Web eintauchte.

Einführende Worte zum Vortrag gab es von der Leiterin der Stadtbibliothek, Anne Reimann, von Till Fichtner vom Büro für Chancengleichheit der Stadt Erlangen und auch von unserem OB Dr. Florian Janik.

Wie unsere Filterblase entsteht

Der Referent selbst arbeitet in Nürnberg bei DATEV und bloggt. Im Vortrag geht es um all jene Begriffe, die wir in letzter Zeit so häufig hören: Hass, Filterblasen, Hate Speech, Frames, Fake News. Für Buggisch begann die Bewusstwerdung seiner ganz persönlichen Filterblase mit dem – für den vermeintlichen Großteil der Gesellschaft überraschenden – Wahlsieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen im vergangenen November. Wie die meisten von uns ging er am 08.11.2016 mit der Gewissheit ins Bett, am nächsten Morgen Hillary Clinton als Siegerin präsentiert zu bekommen. Trotzdem blieb ein kleiner Rest Zweifel, der sich bewahrheiten sollte. In der digitalen Wahrnehmung der meisten Deutschen war Trumps Sieg unmöglich. Keine Pro-Trump-Posts im Newsfeed, keine Likes der Republikaner in der Timeline. Aber heißt das automatisch, dass es keine Trump-Anhänger gibt? Eben nicht! Es gibt sie sehr wohl, nur wollen wir von ihnen meistens nichts wissen. Das merkt sich auch Facebook mit seinem Algorithmus namens Edgerank. Der filtert unseren Facebook-Content entsprechend der Seiten, die uns gefallen, der Personen, mit denen wir besonders viel interagieren, der Websites, die wir oft besuchen. Buggisch betont: das ist zunächst nichts schlechtes. Wer möchte schon in den sozialen Netzwerken Werbung sehen, die ihn gar nicht betrifft, deren beworbene Produkte er sogar ablehnt? Hier ist Personalisierung das Schlüsselwort und das passiert im Social Web nicht nur mit Werbung, sondern auch mit Informationen. Doch genau so entsteht unsere Filterblase – ein abgeschirmter „Raum“, in dem sich hauptsächlich die Informationen und Neuigkeiten befinden, die unsere Meinung bestätigen.

Selbstexperiment: Rechtspopulist

Je mehr wir unsere Informationen aus Medien beziehen, die sie zuvor personalisieren, desto größer ist das Risiko, einem verzerrten Bild der Wirklichkeit auf den Leim zu gehen und die Realität falsch einzuschätzen. Deshalb entschied sich Buggisch zu einem Selbstexperiment: über ein zweites Nutzerkonto bei Facebook schuf er sich eine Filterbubble im rechtspopulistischen Milieu. Er erklärt sehr eindrücklich, wie schnell das geht. Schon ein Like einer entsprechenden Partei wird gefolgt von den allseits bekannten Facebook-Vorschlägen im Stil von „Das könnte dir auch gefallen“ und ein paar Klicks später ist die Filterblase nahezu geschlossen. Buggisch analysierte daraufhin die Inhalte, die ihm in seiner zweiten, künstlichen Identität begegneten. Dabei machte er im rechtspopulistischen Milieu vor allem drei Feindbilder aus, um die sich alles dreht: Fremde, etablierte Parteien und Politiker und schließlich Institutionen und Eliten. Es fehlt dem Rechtspopulismus oft an eigenen Werten, er lebt von der Abgrenzung zu den oben genannten „Feinden“, einzige Konstante ist oft das Volk als diffuser, ungenau definierter Zentralbegriff.

Besonders wichtig ist laut Buggisch das Erkennen der Frames – zu Deutsch: Rahmen – innerhalb welcher eine Neuigkeit gedeutet wird. Ein Frame bietet also eine Interpretationsrahmen für eine Information. So kann man etwa einen Bericht über einen stehlenden Flüchtling als bedauernswerten Einzelfall oder Versagen des deutschen Staats bei der Versorgung von Asylsuchenden interpretieren, genau so gut aber als einen Beweis für das Überhandnehmen von Ausländerkriminalität. Für Frames gilt das Gleiche wie für Filterblasen: an sich sind sie nichts Schlechtes. Sie erleichtern das Verwerten von Informationen, stiften Gemeinsamkeiten in einer sozialen Gruppe und erlauben uns, Berichte einzuordnen. Es ist also genau das, was wir früher „Schubladendenken“ nannten. Das wird erst problematisch, wenn ein Frame absolut wird. Wenn man keine Ausnahmen, Ausbrüche oder Neuausrichtungen des eigenen Interpretationsrahmens mehr erlaubt. Dann läuft man Gefahr, alles in schwarz und weiß zu unterteilen und keine Grauzonen mehr zu erkennen. Gerade bei extremen und populistischen Meinungen sind die Deutungsrahmen undurchlässig und unflexibel, weshalb auch kaum noch eine sinnvolles Diskussion unterschiedlicher Meinungen mehr stattfinden kann. Jeder beharrt auf der eigenen und spricht der gegnerischen ihre Daseinsberechtigung ab.

Fake News – Das Trump-Wort

Bei Facebook erkennt man schon an den Kommentaren zu einem Post, dass es nicht um den Austausch von Argumenten gehen soll. Oft bestärken/verteufeln die Kommentierenden den Inhalt des Posts mit einfachen und ausdrucksstarken Worten oder Memes, ein kommunikativer Mehrwert ist ihr Beitrag kaum. Er enthält weder neue Informationen oder Perspektiven zum Thema, noch regt er zur Diskussion an. In seinem Vortrag berichtete Buggisch, dass im Newsfeed seiner zweiten Facebook-Identität vor allem eines allgegenwärtig ist: Hass. Ob in Posts, Kommentaren, Bildern, der Hass auf die drei typischen Feindbilder ist fast überall spürbar. Besonders schwer wird es nun, zu unterscheiden, was der Ausdruck einer Meinung ist, was sogenannte Hate Speech und was Volksverhetzung oder der Aufruf zu Straftaten. Die Übergänge sind oft fließend, die bestehende Rechtslage ist für das Social Web nicht immer gerüstet.

Auch Fake News beschäftigen uns im Vortrag. Wie schnell wir ihnen auf den Leim gehen, zeigen einige Beispiele, bei denen selbst wir Zuhörer nicht wussten, ob sie stimmen oder nicht. Unter anderem: Wollen die Grünen Fleisch in Kantinen verbieten? Bittet eine Stadt den Steuerzahler für muslimische Gebetsräume zur Kasse? Sollen Weihnachtsbäume als nicht mehr zeitgemäß für unsere Multi-Kulti-Gesellschaft verboten werden? Auch hier zeigt sich: manches stimmt ganz, anderes gar nicht, so einiges aber auch nur zum Teil. Und nicht nur das rechtspopulistische Spektrum fällt auf Falschmeldungen herein, weil sie so gut in sein Weltbild passen, oder glaubt nur der Berichterstattung, die in einen bestimmten Deutungsrahmen passt. Buggisch nennt weitere Sparten, die zur Schwarz-Weiß-Malerei neigen: Esoterik, Boulevardpresse, Verschwörungstheorien, Impfgegner. Das Internet ist voll von sogenannten Informationen und vertrauenswürdigen Quellen, die uns erlauben, nur das zu lesen und zu glauben, was in unsere Filterblase gehört.

Aber wieso funktionieren solche Falschmeldungen so gut? Das hat laut Buggisch gleich mehrere Gründe. Zum einen werden die Informationsquellen nicht mehr hinterfragt. Zum anderen werden viele Artikel online überhaupt nicht mehr gelesen. Man sieht ein Bild, eine Überschrift und die ersten zwei Sätze und hält das für eine Wahrheit. Dass es sich dabei oft um eine bewusst provokante und aus dem Kontext gerissene Zusammenstellung von Bruchteilen der eigentlichen Aussage handelt, vergessen wir schnell. Genau so gehört es zu unserer multimedialen Gesellschaft, dass Artikel von ausgewiesenen Satireseiten wie dem Postillion für bare Münze genommen werden. Entweder, weil man die Seite nicht kennt, oder nicht einmal darauf geachtet hat, welche Seite die Neuigkeit, die man gerade liest, überhaupt bereitstellt.

Fazit: Selbstverantwortung

Die Hauptverantwortung zur Lösung dieser Probleme sieht Buggisch nicht etwa beim Staat oder bei den Betreibern der beliebten online-Plattformen. Wir selbst sind in der Pflicht, uns unserer Filterblasen und Frames bewusst zu werden und diese auch hin und wieder zu verlassen und zu überprüfen. Verbote und Einschränkungen durch den Staat oder Facebook können diese Probleme kaum lösen, dafür aber ein kritischer und reflektierter Umgang mit der eigenen Wahrnehmung und Leichtgläubigkeit. Ist wirklich alles wahr und richtig, bloß weil es in das eigene Weltbild passt?

Angenehm unaufgeregt und sachlich referierte Buggisch über ein Thema, das die Gemüter erhitzt. Er verzichtete dabei auf Schuldzuweisungen und die Überhöhung seiner eigenen Position und benannte ganz ehrlich die Trugschlüsse, denen wir jeden Tag auferliegen – unabhängig vom politischen Lager. Ersichtlich wird vor allem eines: Die Verantwortung für eine Besserung der Lage tragen wir alle, sie lässt sich nicht der Politik zuschieben und auch nicht durch noch mehr Verbote und Eingriffe erreichen. Jeder sollte sich ein mal mehr fragen, ob er anderen Ansichten unvoreingenommen genug gegenüber steht und auch bereit sein, sich mit unbequemen Wahrheiten und Meinungen auseinanderzusetzen.

Weiterführende Links:

www.internationale-wochen-gegen-rassismus.de

https://buggisch.wordpress.com

http://stiftung-gegen-rassismus.de/ueber-uns/ziele/