Hallo,
ich heiße Anne und bin Fußball-Fan. Ich weiß, was jetzt alle denken. Aber lasst mich kurz mit einigen eurer Vorurteile aufräumen:
- Nein, ich gucke nicht nur alle 2 bis 4 Jahre zu Großveranstaltungen ein Fußballspiel, sondern eigentlich jedes Wochenende, mindestens jedenfalls die Spielzusammenfassungen in der Sportschau.
- Nein, ich kenne nicht nur die Sahneschnitten des Fußballs à la Mats Hummels oder die durch die Medien überrepräsentierten Spieler wie Thomas Müller oder Manuel Neuer. Ich kenne durchaus auch die weniger auffälligen Sportler wie etwa Marvin Plattenhardt.
- Ja, ich weiß, was Abseits ist.
Genauso wie auf den Bundesliga-Auftakt, die DfB-Pokalspiele und die Champions League freue ich mich auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2018. Warum?
Für mich ist Fußball mehr als die längst ausgelutschte Phrase der 22 Männer, die mit einem Ball spielen. Fußball gehört für mich zu den fesselndsten Dingen der Welt, denn er gehört zu den Sportarten, die Menschen bewegen (nicht nur physisch). Und in eben diesen Emotionen liegt für mich die Faszination. Natürlich möchte ich andere Sportarten nicht ausschließen. Für Rugby, Football & Co. mag ähnliches gelten. Aber ich bin eben in erster Linie dem Soccer verfallen.
Ich weiß noch, dass sogar im kleinen Kreis der Landesliga innerhalb von 90 Minuten entschieden wurde, ob die Jungs unseres Freundeskreises das Wochenende mit guter Laune oder mit grimmiger Miene verbringen. Und dieser Mikrokosmos steht stellvertretend für den Makrokosmos: Ich habe noch nie mitbekommen, dass eine ganze Nation voller Trauer ist, weil ihr Olympia-Schwimmer einen Wettkampf verloren hat. Aber erinnert euch nur an die zu Tränen gerührten Brasilianer, die bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 im eigenen Land ausschieden. Für mich als Frau sind dabei vor allem die Tränen der Männer etwas ganz ergreifendes: Wenn Männer weinen, dann muss schließlich etwas wirklich schlimmes passiert sein. So schlimm, dass sie all ihre Beherrschung, all ihren Stolz einfach vergessen.
„Einige Leute denken, Fussball ist eine Frage von Leben und Tod. Ich bin von dieser Einstellung sehr enttäuscht. Ich versichere Ihnen, dass es viel viel wichtiger als das ist.“ – Bill Shankly, schottische Trainerlegende.
Fußball, stellvertretend für (fast) alle anderen Sportarten, fördert darüber hinaus in meinen Augen die Charakterbildung ungemein – selbst wenn man nicht aktiv spielt. Man lernt zu verlieren; auch wenn es „nur“ via Fernseher ist. Man schaut sich das Wieder-Aufstehen ab und man lernt, was Loyalität ist (es sei denn, du bist ein Erfolgs-Fan, aber selbst der FC Bayern hat ja in dieser Saison so einiges verloren). Man lernt im besten Fall auch, Dinge objektiv einzuschätzen und Fehler der eigenen Mannschaft einzugestehen; der Wiederholung gewisser Szenen im TV sei Dank. Man lernt Teamfähigkeit. Man versteht sich irgendwann als Teil einer Gruppe: Wir, die Fans des 1. FC Nürnberg. Wir, die Fans der deutschen Nationalmannschaft. (Kritisch wäre hier aber: Wir, die Deutschen. Nur der Vollständigkeit halber.) Man lernt trotz der Abgrenzung zu anderen Gruppen Toleranz, denn bei eurem Lieblingsfußballclub spielen nicht nur Sportler deutscher Abstammung und auch keine Menschen, die niemals Fehler machen. (An dieser Stelle eine stille Minute für Loris Karius.)
Natürlich bin ich mir auch der Schattenseiten des Fußballs bewusst: Kommerzialisierung, Korruption, Nationalismus, Gewalt. Von diesen negativen Aspekten distanziere ich mich. Ich bin kein Fan, der betrunken und grölend mit (Deutschland-)Fahne durch die Stadt läuft, geschmückt mit schwarz-rot-goldenen Accessoires. Aber ich bin mir bewusst, dass Schattenseiten zum Leben gehören. Man kann sich trotz negativer Aussichten auf das Schöne und die Freude besinnen ohne gleichzeitig naiv oder ignorant zu sein. Man muss die WM in Russland nicht boykottieren, um einen Standpunkt zur politischen Lage dieses Landes zu beziehen. Man muss nicht, aber man kann.
Man kann auch nach einem anstrengenden Arbeitstag bei hochsommerlichen Temperaturen einen Biergarten aufsuchen, ein kaltes Getränk mit Freunden genießen und sich gemeinsam über etwas scheinbar Belangloses wie ein Tor freuen. Man kann. Man muss aber nicht.