Die imposante Eingangstür des mindestens genau so imposanten Hauses der Burschenschaft Germania öffnet sich und sofort geht mein Klischeebarometer durch die Decke – in der weitläufigen Eingangshalle begrüßen mich zwei Verbindungsstudenten in Hemd, Couleur (das bunte Bändchen, das die Farben der jeweiligen Verbindung trägt) und Segelschuhen. Zu ihrer und auch meiner Belustigung stellen sich beide als Valentin vor.
Studenten-WGs in geheimen Prunkvillen?
Die beiden Häuser der Burschenschaft Germania und des Corps Baruthia wurden um die Wende des 20. Jahrhunderts erbaut und sollten ursprünglich den Zweck einer Art Vereinsheim erfüllen, wo Treffen abgehalten wurden, aber noch keine Studentenzimmer bestanden. Zwischendurch – während der beiden Weltkriege – wurden sie unter anderem als Lazarette und Soldatencasino der Amerikaner zweckentfremdet. Zur großen Begeisterung aller Mitglieder des Corps Baruthia strichen die Amerikaner das Haus damals komplett in rosa, was mittlerweile aber wieder rückgängig gemacht werden konnte. Die Burschenschaft Germania jedoch hat immer noch den Verlust der schmuckvollen Holzvertäfelung zu beklagen, die die Amerikaner damals zum einheizen genutzt hatten.
Die beiden Häuser verfügen über eine Kneipe, eine Schänke, einen Ballsaal, ein Aktivenzimmer sowie eine Aktivenetage (in der die Studenten wohnen) und eine Küche. Das Haus der Germania besitzt den höchsten privaten Aussichtsturm Erlangens während sich im Haus der Baruthia im Ballsaal Europas größtes Tonnengewölbe in Privatbesitz befindet. Das Treppenhaus des Bayreuther Hauses wird von Buntglasfenstern geschmückt und auf der Loggia zieren faszinierende Gemälde die Wand.
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„Im Grunde sind wir ja auch irgendwie eine WG – wir essen zusammen und wer nicht ordentlich putzt, muss in die WG-Kasse zahlen“, erklärt Valentin, als er mir die Räumlichkeiten des Germanenhauses zeigt. Der Hauptraum der Aktivenetage ist hell, freundlich und entgegen meiner Erwartungen an einen reinen Männerhaushalt sehr sauber. Ausgestattet ist er wenig prunkvoll mit ganz normalen Möbeln, die ältere Bundesbrüder beim Auszug zurückgelassen haben. Die eigentlichen Räume der Verbindung wie der Ballsaal, die Kneipe und das Aktivenzimmer werden zum Zusammensitzen, Entspannen und natürlich lernen genutzt. Und dann gibt es da noch den Paukboden – der Raum, in dem das Fechten geübt wird. Fünf Mal die Woche treffen sich die Mitglieder der Germania dort und arbeiten an ihrer Technik.
Mensuren – gefährliche Mutprobe oder harmloser Sport?
„Ernsthafte Schäden gibt es in den seltensten Fällen – da braucht man schon sehr viel Pech.“
So drückt es Alexander, Mitglied des Corps Baruthia, aus. Es gibt strenge Regelwerke, die den Ablauf der Partien bis zur kleinsten Bewegung festlegen und die sich von Stadt zu Stadt unterscheiden. In diesen Regelwerken steht zum Beispiel, dass die Klinge alle vier Hiebe desinfiziert werden muss und wie genau die Klinge der sogenannten Korbschläger geschliffen werden muss – scharf sind nur etwa 30 Zentimeter der insgesamt 1 Meter langen Schläger.
Zusätzlich zu den ausführlichen Regelwerken soll auch spezielle Kleidung die Sicherheit beim Fechten erhöhen. In der Regel werden ein Kettenhemd, eine Halskrause, eine Maske und ein Stulp um den Arm getragen. Die Maske schützt die Augen und die wichtigen Nerven in den seitlichen Bereichen des Gesichtes und der Ohren – die Bildersuche zur beschriebenen Mensurbrille fördert Vorrichtungen zu Tage, die ein bisschen so aussehen wie etwas, das sich ein Roboter aufsetzen würde, wenn er schwimmen geht. Und die Tatsache, dass es Mensurbrille heißt, erklärt auch, warum die Fechtenden trotzdem gelegentlich Schnitte an der Stirn, den Schläfen, am Kopf und sogar Mund oder Wange davontragen.
„Meistens sind es kleine, oberflächliche Verletzungen, bei denen eine Lokalanästhesie zum Nähen viel zu umständlich wäre.“
Wenn man zum ersten Mal hört, dass bei Mensurverletzungen üblicherweise ohne Betäubung genäht wird, dann macht sich irgendetwas zwischen Ungläubigkeit und mittelschwerer Befremdung breit. Doch Lukas und Alexander erklären mir, dass es für sie kein großes Thema ist. Sollte doch mal etwas passieren, stünde man sofort unter Adrenalin und ein Corpsbruder bereit, dem man die Hand quetschen kann. Bei Verletzungen, die mehr als ein oberflächlicher Schnitt sind, wird der Betroffene dann ohnehin in die Klinik geschickt. Dass beim Nähen nicht betäubt wird, liegt also nicht daran, dass das Fechten eine absurde Mutprobe ist, bei der für den Bund gelitten werden muss – sondern viel mehr daran, dass alle der Meinung sind, man könne sich den Aufwand eigentlich sparen.
Es kursieren zahlreiche Gerüchte über die sogenannten Schmisse: die Verbindungsstudenten seien stolz auf ihre Narben, manche würden angeblich noch Pferdehaare hineinlegen, damit sie mehr aufquellen. Dieses unappetitliche Gerücht schafft der Bayreuther Fuchs Lukas sofort aus der Welt: „wir versuchen immer, uns zu schützen und wenn man doch mal Pech hat, dann versucht man die Narbe so unauffällig wie möglich zu halten und gut zu pflegen.“ Und Zahnmedizinstudent Alexander fügt hinzu: „Bei meinem Praktikum in der Klinik habe ich Leute gesehen, die haben sich beim Feiern oder beim Sport wesentlich schlimmer zugerichtet als wir beim Fechten.“
Von Füchsen, Burschen und Philistern
Im Münsteraner Tatort „Satisfaktion“ wird einem der Eindruck vermittelt, dass die armen Füchse wirklich bemitleidenswert sind. Als Fuchs wird übrigens jemand bezeichnet, der sein erstes Jahr in der Verbindung verbringt und sozusagen auf Probezeit ist. Die Jungmitglieder bekommen auch sogenannten Fuchsenunterricht: dort lernen sie die Regeln des Verbindungswesens, Dresscode, Knigge und Geschichte. Aber sind die armen Füchse wirklich ständig damit beschäftigt, den Burschen (Vollmitglieder der Verbindung) neues Bier zu bringen und das Haus zu putzen?
Valentin sagt dazu: „Bei uns ist die Fuchsenerziehung eigentlich ganz gemäßigt. Bei uns ist es mehr ein Anlernen, das sie auf ihre zukünftigen Aufgaben in der Verbindung vorbereiten soll.“ Und auch bei der Baruthia sieht man die Füchse eher als Teammitglieder, die zwar hin und wieder Anweisungen bekommen, aber meist aus dem Grund, dass die Burschen bereits mehr Erfahrung haben und wissen, wie die Dinge gemacht werden. Man begegnet sich auf Augenhöhe und konstruktive Kritik darf von allen Seiten geäußert werden.
Insgesamt stimmen alle vier Verbindungsstudenten überein, dass sie ihre Verbindungen als geschützten Raum sehen, in dem sie bei vielfältigen Aufgaben für das „richtige“ Leben lernen und lebenslange Freundschaften schließen. Die wichtigsten Dinge, die sie dort gelernt haben? „Durchhaltevermögen, Offenheit und dass man nicht mehr so bequem ist, weil man seine Zeit effektiver nutzen muss“, sagt Fuchs Lukas. Für Valentin sind es Selbstbewusstsein, Allgemeinbildung und Personalverantwortung, während Alexander Offenheit gegenüber Neuem und Kritikfähigkeit nennt.
Die Sache mit den Segelschuhen
„Die Dinger sind halt auch saubequem!“
Aus der riesigen Menge an existierenden Klischees sind zumindest die Segelschuhe eindeutig wahr. Und vielleicht sind sie ja wirklich sehr bequem – dass so viele Verbindungsstudenten sie tragen, scheint ja sehr dafür zu sprechen. Doch wie steht es um die anderen Klischees? Gerade der Vorwurf des rechten Gedankenguts scheint allgegenwärtig zu sein – konservative Verbindungsstudenten, die die „deutschen Werte“ um jeden Preis wahren wollen. Doch beide Verbindungen distanzieren sich von Nazis: „Idioten gibt es überall, im Fußballverein und leider auch in Verbindungen“, sagt Valentin. „Wir haben ein gutes Verhältnis zu anderen Studenten und haben auch schon einmal auf Facebook Stellung gegen rechts genommen. Wir sind zwar eine politische Verbindung, aber die Richtung ist nicht vorgegeben – es ist egal, was man wählt, so lange man sich politisch engagiert und nicht extrem ist.“
Wir bedanken uns sehr herzlich bei der Burschenschaft Germania und beim Corps Baruthia für die netten Interviews.