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StadtDie jüdische Geschichte in Erlangen

Leuchter vor der Hugenottenkirche

1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland und Bayern

Es ist ein schöner spätsommerlicher Sonntagabend vor dem Erlanger Rathaus. Um die 100 Menschen haben sich heute im Halbkreis versammelt. Auf der Mitte des Platzes spielt eine Band fröhliche Musik. Wie riesige Scheinwerfer erhellen die letzten Sonnenstrahlen des Tages die beiden Musiker. Die Menschen singen und tanzen im Takt der Musik. Sie sprechen miteinander – religionsübergreifend. Das jüdische Leben hat seinen Platz im Erlanger Stadtbild. Wir blicken auf das jüdische Leben und die jüdische Geschichte in Erlangen zurück.

https://www.funklust.de/2021/10/das-judische-leben-in-erlangen/
Terry Swartzberg
Foto: Terry Swartzberg

Spenden für Erlangens erste Synagoge

Wir gehören hier her!“, sagt Terry Swartzberg. Er ist ein Freund der jüdischen Gemeinde in Erlangen. Extra für das Fest des jüdischen Lebens ist er heute nach Erlangen gekommen. Denn dass die jüdische Gemeinde die Erlanger hierhin eingeladen hat, hat einen Grund: Sie wollen Spenden für ein eigenes Gotteshaus sammeln. Ihre erste Synagoge in Erlangen. Denn bisher haben die Erlanger Juden immer nur in Mietshäusern gebetet. Das aktuelle Haus sei zu klein und sei auf Dauer keine sichere Bleibe. Aber warum hat es noch nie eine Synagoge in Erlangen gegeben?

Der Beginn der jüdischen Geschichte in Erlangen

Wir tauchen in die Geschichte ein und schreiben das Jahr 1861. Hier beginnt die Geschichte jüdischen Lebens in Erlangen. Zuvor war es Juden verboten, in der Stadt zu leben. Denn sie werden als Konkurrenz der Hugenotten gesehen. Doch als das Verbot aufgehoben wird, ziehen immer mehr Juden vom Land in die Stadt. Sie gründen eine jüdische Gemeinde.

1890 zählt sie 239 Mitglieder. Sie beten in Privathäusern: erst in der Friedrichstraße, dann in der Dreikönigsstraße. Dort sind sie mit dem Propagandamagazin „Der fränkische Beobachter” – einer völkischen und antisemitischen Zeitung – unter einem Dach. Historikerin und Expertin für jüdische Geschichte in Erlangen Martina Switalski: „Erlangen sah sich als Hochburg der völkischen Bewegung. In diesem Kampfblatt konnte man genauso wie beim Stürmer die Menschen denunzieren.“

Nach dem ersten Weltkrieg ist die wirtschaftliche Lage in Erlangen schlecht. Viele junge Juden sehen in der mehr und mehr antisemitischen Hugenottenstadt keine Zukunft mehr. Der Allgemeine Studierendenausschuss ist schon in den 1920er Jahren dem nationalsozialistischen Studentenbund geschlossen beigetreten.

Die Reichspogromnacht in Erlangen

Als Hitler 1933 die Macht ergreift, leben noch 117 Juden in Erlangen. Verbote machen sich breit. „Juden ist der Zutritt verboten“ – so steht es zum Beispiel am Erlanger Rötelheimbad. Viele Juden emigrieren oder ziehen in größere Städte. Ein Jahr später leben schon nur noch 67 Juden in Erlangen. Die Polizei erstellt Listen mit dem gesamten Besitz aller jüdischer Bürger.

Vier Jahre später: Am 09. November 1938 treffen sich sämtliche SA- und SS-Standarten in den Sturmlokalen. Ausgelassen feiern sie den gescheiterten Hitlerputsch von 1923. „In alkoholisiertem Maß waren eh alle SAler unterwegs und daraus ergab sich dann, dass in circa 2.300 Städten gleichzeitig die Synagogen verbrannt wurden und das jüdische Gut geplündert wurde“, sagt Martina Switalski. Auch in Erlangen. Per Telefonketten verbreitet sich der Befehl. Die Polizei nimmt alle Juden in Erlangen fest und scheucht sie in den Innenhof des Rathauses – heute der gemütliche Innenhof der Stadtbibliothek. Unter ihnen ist auch Rosa Loewi. In einer Anzeige beschreibt sie die Nacht später so: 

Gemeinsam mit noch anderen Familien brachte man uns zum Hof des Rathauses. Dort standen wir bis zum Mittag. Nun wurde der Bevölkerung bekannt gegeben, dass, wer Juden sehen wollte, diese im Hof des Rathauses unter Abgabe von 10 Pfennig sehen könnte. Während unseres Aufenthaltes im Hof wurden wir durch die Angehörigen des Erlanger SA-Sturmes belästigt und beleidigt

Rosa Loewi
Das alte Gebäude in der Einhornstraße, das die jüdische Gemeinde angemietet hatte.
Das alte Gebäude in der Einhornstraße, das die jüdische Gemeinde angemietet hatte.

Das Ende der jüdischen Gemeinde

Die arische Bevölkerung plündert währenddessen die Häuser der Juden. Sie zerstören auch ihren Gebetsraum in der Einhornstraße. Gegen Mittag werden die Frauen und Kinder in die Wöhrmühle gebracht. Die Männer kommen in das Amtsgerichtsgefängnis. Müssen teilweise nach Nürnberg. Nur wenige, darunter auch Rosa Loewi, gehen später gerichtlich gegen die Ereignisse dieser Nacht vor. Viel mehr aber sahen keinen anderen Weg als die Emigration. „Das war im Grunde das Ende der jüdischen Gemeinde.“, sagt Martina Switalski.

Das Trauma von Erlangen 1980

Erst in den 1970er Jahren ziehen wieder vermehrt Juden nach Erlangen. Einer der ersten unter ihnen ist der Verleger Shlomo Lewin. Er will die Gemeinde neu gründen. Ist zu dieser Zeit Vorsitzender der jüdischen Kultusgemeinde in Nürnberg. Doch dann der große Schock: Er und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke werden am 19. Dezember 1980 ermordet. Von einem Anhänger der rechtsradikalen Organisation „Wehrsportgruppe Hoffmann”. Der antisemitische Mord zieht Aufruhe mit sich, nie wurde er ganz aufgeklärt. Denn der mutmaßliche Täter Uwe Behrendt stirbt ein Jahr später im Libanon – vermutlich begeht er Selbstmord. Die Erlanger erinnern an das Schicksal von Lewin und Poeschke. Sie benennen die Freizeitanlage am Bürgermeistersteg nach ihnen: die Lewin-Poeschke-Anlage

Das Emmy Noether Haus in Erlangen
Das Emmy Noether Haus in Erlangen

Berühmte jüdische Erlanger

In der Hugenottenstadt lebt aber auch das Erbe vieler weiterer Persönlichkeiten des jüdischen Lebens weiter. Wie Emmy Noether, geboren 1882. Sie war Mathematikerin und lehrte jahrelang unentgeltlich am mathematischen Institut. Nach ihrer Emigration in die USA verstarb sie mit 51 Jahren an den Komplikationen einer OP. Die Erlanger erinnern heute außerdem an den Arzt Jakob Herz. Er war der erste jüdische Professor in Bayern. Und hat an der FAU geforscht. Sein Denkmal steht heute in der Erlanger Universitätsstraße.

Gedenktafel Jakob Herz

Lebensgroße Statuen oder riesige Gedenktafeln. Denkmäler fallen nicht immer durch ihre Größe auf. Auch kleine Hinweise auf die Vergangenheit tragen ihren Teil zu einer erfolgreichen Erinnerungskultur bei. Auch die sogenannten Stolpersteine. Sie sind im Boden eingelassen und zwar vor den ehemaligen Häusern der Opfer des Nationalsozialismus. Die kleinen goldenen Steine haben ein Ziel: Wir sollen über unsere eigene Geschichte stolpern und an die Gräueltaten der Nationalsozialisten erinnert werden. Auch in Erlangen gibt es rund 50 dieser Stolpersteine.

Heute: So ist das jüdische Leben in Erlangen

Gedenkstätten und Mahnmäler allein reichen aber nicht aus, um der Judenfeindlichkeit entscheidend entgegenzutreten. Der interreligiöse Dialog muss aktiv gesucht werden. „Wir wollen die Stadt umarmen und die Stadt hat uns zurück umarmt“, sagt Terry Swartzberg. Er trägt seit neun Jahren öffentlich seine Kippa. Auch heute beim Fest des jüdischen Lebens auf dem Erlanger Rathausplatz. Die Band spielt weiterhin fröhliche Musik und die Menschen unterhalten sich. Friedlich. Das ist der Wunsch vieler Juden. Sie wollen angstbefreit in der Öffentlichkeit auftreten.

Langfristig möchte die jüdische Gemeinde regelmäßig verschiedenste Kulturveranstaltungen auf die Beine stellen. Damit möchten sie noch weiter Geld für ein eigenes Gemeindehaus und ihre Synagoge sammeln. Insgesamt 4,4 Millionen Euro. Öffentliche Mittel finanzieren davon schon zwei Drittel. Der Rest soll über Spenden eingenommen werden. Ende Juni hat die Gemeinde bereits 20.000 Euro für ihre erste eigene Synagoge gesammelt.

Die Synagoge für Dialog, Kultur und Offenheit

Die Synagoge, von der sich die Gemeindemitglieder erhoffen, dass sie ein Ort des Austausches wird. Ein Ort, der wie der Schlossgarten oder der Neue Markt zum Erlanger Stadtbild gehört und der der jüdischen Gemeinde über Generationen hinweg ein sicherer Hafen ist.